Schnell & Kollegen Rechtsanwälte und Fachanwälte Nürnberg

Aktuelles zum Thema Recht

von Schnell & Kollegen GdbR 29. September 2022
In das Arbeitsrecht wirken nicht nur das Sozialversicherungsrecht und Einkommensteuerrecht ein, sondern auch das Strafrecht. Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden, insbesondere der Zoll sind im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer „tätig“. Die straf- und ordnungswidrig keitsrechtlichen Sanktionen bilden mittlerweile ein nicht unerhebliches persönliches Risiko für sämtliche Personen, die unternehmerische Verantwortung im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen und sonstigen Rechtsverhältnissen tragen. Diesen ist oftmals gar nicht oder nur schemenhaft bewußt, welche Risiken sie für sich und ihre Unternehmen eingehen, wenn „freie Mitarbeiter“ oder „Honorarkräfte“, „crowd worker“ beschäftigt oder verschiedenste Formen des „Outsourcing“ eingegangen werden. Sie sind dann im Status eines Arbeitsgebers und sehen sich neben strafrechtlichen Sanktionen tiefgreifenden sozialversicherungsrechtlichen Haftungsfolgen ausgesetzt. Ähnliche Gefahrenlagen treten ein, wenn EU- oder sonstige Ausländer beschäftigt werden. Oftmals unerwartet sehen sich die Funktionsträger straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ermittlungen ausgesetzt, teilweise mit erheblichen Auswirkungen in der Öffentlichkeit etwa bei Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen. Besonders gravierend sind diese, wenn Unternehmen mitten in Sanierungsmaßnahmen stehen, die typischerweise Maßnahmen eines „Outsourcing“ ins Werk setzen. Die einschlägigen straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorschriften betreffen vor allem das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt zu den Sozialversicherungen, die illegale Überlassung oder Entsendung von Arbeitnehmern, Verstöße gegen das Mindestlohngesetz und Lohnwucher, die illegale Beschäftigung von Ausländern sowie Schwarzarbeit. Die persönlichen Risiken bestehen einerseits für im Unternehmen Verantwortliche, nicht allein in einer (Freiheits- oder Geld-)Strafe oder einem Bußgeld, sondern auch in Eintragungen im verschiedenen öffentlichen Registern und der Untersagung der weiteren Ausübung der Berufstätigkeit. Zum anderen ihren für das Unternehmen selbst Sanktionen in Aussicht, die in Unternehmensgeldbußen, Maßnahmen der Gewinnabschöpfung, aber auch im Ausschluß von öffentlichen Aufträgen oder Eintragungen im Gewerbezentral- oder Wettbewerbsregister bestehen. Die Erfahrung zeigt, dass in frühen Stadien von straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ermittlungsverfahren kein sachgerechtes Verhalten gegenüber den Behörden an den Tag gelegt wird. Aussageverweigerungsrechte werden oftmals nicht gesehen oder sachgerecht eingesetzt. Auch vermag durch die Instrumente rechtzeitiger Selbstanzeigen vieles gewonnen zu werden. Kommt es dennoch zu Ermittlungen weist das Verfahren gegenüber dem sonstigen Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren Besonderheiten auf, die es zu nutzen gilt. Die frühzeitigen Möglichkeiten einer präventiven anwaltlichen Beratung sollten gesehen, denn nur so vermögen sie genutzt zu werden. Dies gilt umso mehr als die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes im Bereich des § 266a StGB zu Verschärfungen zugunsten der Arbeitgeber geführt hat.
29. September 2022
In Steuerfreiheit von „Outplacement“-Beratungen Der Gesetzgeber setzte eine steuerrechtliche Änderung ab dem 1. Januar 2021 in Kraft: Beratungsleistungen im Zusammenhang mit der Auflösung eines Ar-beitsverhältnisses sind nun steuerfrei (§ 3 Nr. 19 EstG in der Fassung des Jahress-teuergesetzes 2020 vom 21. Dezember 2020). Verhandlungen über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung kreisen meist um die Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Gleich ob letztlich ein au-ßergerichtliche Aufhebungs- bzw. Auflösungs- oder ein Abwicklungsvertrag ge-schlossen wird, kreisen die Verhandlungen darum, welche Leistung der Arbeitgeber im Gegenzug für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer an-bieten kann. Gewichtigstes Element dieser Gegenleistung des Arbeitgebers wird nach wie vor die Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes bleiben. Aber es dürf-te nun insbesondere in Krisenzeiten durch eine steuerliche Gesetzesänderung dem Arbeitgeber eine attraktives Verhandlungselement zusätzlich zur Verfügung stehen. Aus Sicht des Arbeitnehmers sind aktuell, auch bei zurückhaltender Betrach-tung die Unsicherheiten am Arbeitsmarkt durch die Corona-Krise deutlich gestie-gen. Eine Anschlußbeschäftigung zu erreichen, erweist sich als schwierig oder doch zumindest schwieriger. Die Scheu des Arbeitnehmers einvernehmlich dann sein Arbeitsverhältnis zu beenden, erweist sich aus Sicht des Arbeitgebers dann als unüberwindliches Hindernis, das sich verstärkt, wenn die berufliche Qualifikation des Arbeitnehmers eher schwach ausgeprägt ist. Die dann entwickelten Vorstellun-gen des Arbeitnehmers von Abfindungszahlungen erreichen häufig Höhen, die dem Arbeitgeber nicht mehr leistbar erscheinen. Die Vereinbarung einer sogenann-ten „Outplacement“-Beratung gab es bislang schon, war allerdings häufig auf den Kreis hochqualifizierter Arbeitnehmer begrenzt. Unter einem „Outplacement“ versteht man, eine arbeitgeberfinanzierte Ver-mittlung eines Dienstleisters für den ausscheidenden Arbeitnehmer. Im wesentli-chen soll dem Arbeitnehmer die berufliche Neu- oder Umorientierung professionell begleitet und unterstützt werden. Primäres Ziel ist dabei, dem Arbeitnehmer zeitnah in eine Erwerbstätigkeit zu vermitteln. Die Instrumente sind vielgestaltig, sie beste-hen in Einzel- oder die Gruppenberatung, in der unterstützenden Hilfe, persönliche Bewerbungsunterlagen zu gestalten, der Vorbereitung von Bewerbungsgesprächen oder in einer Existenzgründung. Nach bisheriger Rechtslage waren „Outplacement“-Leistungen wie Abfin-dungen als sogenannter „geldwerter Vorteil“ zu versteuern. Der geldliche Anreiz, dies zu vereinbaren, hielt sich aber doch sehr in Grenzen, da das „Outplacement“, keine unmittelbare Geldleistung darstellte, aber wie eine solche zu versteuern war. Nunmehr (§ 3 Nr. 19 Satz 2 EStG) sind auch Beratungsleistungen des Ar-beitgebers oder auf dessen Veranlassung von einem Dritten zur beruflichen Neu-orientierung bei Beendigung des Dienstverhältnisses steuerfrei. Die Steuerfreiheit entfällt jedoch (§ 3 Nr. 19 Satz 3 EStG) im Falle, sollten die „Outplacement“-Leistungen „überwiegenden Belohnungscharakter haben“. Das dürfte lediglich in Fällen anzunehmen sein, in denen dies an diese Leistung an die Stelle der Abfin-dung tritt. Die steuerliche Zielrichtung ist zu begrüßen: Sie liegt jedenfalls näher an der des Kündigungsschutzgesetzes als bei bloßer Beendigung gegen Abfindungszah-lung. Der soziale Bestandsschutz wird nicht lediglich monetarisiert. Die Qualität der „Outplacement“-Beratung dürfte über die der Vermittlungsbemühungen der Bunde-sagentur für Arbeit hinausgehen. Für den Arbeitgeber wird es einfacher den Be-denken des Arbeitnehmers zu begegnen, sich in die Dauerarbeitslosigkeit durch die Auflösung seines Beschäftigungsverhältnisses zu bringen. Zu einer konfliktärme-ren und damit schnelleren Aufhebung des Arbeitsverhältnisses wird durch die Neu-regelung jedenfalls beigetragen.
29. September 2022
Anforderungen an (amts-)ärztliches Gutachten zur Dienstunfähigkeit und an die Suche nach einer anderweitigen Verwendung des Beamten Leitsätze: 1. Ein im Zurruhesetzungsverfahren verwendetes (amts-)ärztliches Gutachten muss sowohl die notwendigen medizinischen Feststellungen zum Sachverhalt darstellen als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, seinen dienstlichen Anforderungen zu genügen. 2. Die Suche nach einer anderweitigen Verwendung ist auf den gesamten Bereich des Dienstherrn zu erstrecken. Sie muss ebenso freie wie in absehbarer Zeit voraussichtlich neu zu besetzende Dienstposten einbeziehen und eine die noch vorhandene Leistungsfähigkeit des dienstunfähigen Beamten charakterisierende und sachliche Kurzbeschreibung enthalten. Die bloße Einräumung einer sog. Verschweigensfrist, derzufolge die suchende Behörde von einer "Fehlanzeige" ausgeht, wenn nicht innerhalb bestimmter Frist eine Rückmeldung vorliegt, genügt nicht. Urteil BVerwG 2 C 37.13 VG Ansbach - 24.03.2009 - AZ: VG AN 1 K 08.2198 VGH München - 11.01.2012 - AZ: VGH 3 B 10.346 In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2015 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden, Dr. Hartung, Dr. Kenntner und Dollinger für Recht erkannt: Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Januar 2012 und das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 24. März 2009 sowie der Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 7. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2008 werden aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gründe I 1. Der Kläger wendet sich gegen seine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. 2. Der 1968 geborene Kläger steht als Studienrat mit der Lehrbefähigung für Musik seit 2000 als Beamter auf Lebenszeit (BesGr A 13 LBesO) im Dienst des Beklagten. Zuletzt war er an einem Gymnasium tätig und unterrichtete ausschließlich das Fach Musik. 3. Nach dem gehäuften Auftreten von Fehltagen veranlasste der Beklagte im Herbst 2006 erstmals eine amtsärztliche Untersuchung des Klägers. Der zuständige Amtsarzt, ein Psychiater, diagnostizierte eine leichte chronische seelische Störung und hielt den Kläger für in der Lage, 16 Wochenstunden zu unterrichten. Im Juni 2007 erkrankte der Kläger erneut für längere Zeit. Die vom Beklagten daraufhin veranlasste amtsärztliche Untersuchung führte ein Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen durch, der im Gesundheitszeugnis vom 28. November 2007 eine "chronifizierte seelische Störung" feststellte. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, den Beruf als Lehrer auszuüben. Für anderweitige Tätigkeiten im öffentlichen Dienst ohne Kontakt mit Schülern sei er hingegen uneingeschränkt leistungsfähig. Erläuterungen oder Herleitungen dieser Ergebnisse enthielt das amtsärztliche Zeugnis nicht. 4. Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus sah in seinem Ressort keine Verwendungsmöglichkeit, da für den Kläger zum Zeitpunkt der Zurruhesetzung und auch später keine geeigneten und statusgemäßen Stellen frei waren. Eine von ihm an die Staatskanzlei und die anderen Ressorts gerichtete schriftliche Suchanfrage bezüglich einer anderweitigen Verwendung des Klägers endete mit dem Satz: "Das Staatsministerium geht von einer Fehlanzeige aus, wenn nicht innerhalb von vier Wochen nach Erhalt dieses Schreibens eine Rückmeldung Ihres Hauses erfolgt." Die Ressorts reagierten auf diese Suchanfrage nicht. 5. Der Beklagte versetzte den Kläger wegen Dienstunfähigkeit mit Wirkung zum 1. September 2008 in den Ruhestand. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner durch Beschluss ergangenen Entscheidung insbesondere darauf verwiesen, dass die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Zurruhesetzung eines Beamten sei. Der Kläger sei dienstunfähig, weil er aufgrund seiner seelischen Störung nicht mehr in der Lage sei, den Beruf als Lehrer auszuüben. Der Beklagte sei auch seiner Suchpflicht nach einer anderweitigen Verwendung des Klägers nachgekommen. 6. Mit der Revision beantragt der Kläger, den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Januar 2012 und das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 24. März 2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 7. August 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2008 aufzuheben. 7. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. II 8. Die Revision des Klägers ist begründet. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs verletzt revisibles Landesbeamtenrecht (§ 127 Nr. 2 BRRG, § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG), weil die vorzeitige Versetzung des Klägers in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit ohne hinreichende Klärung seiner anderweitigen Verwendbarkeit gegen den gesetzlichen Grundsatz der "Weiterverwendung vor Versorgung" verstößt. 9. 1. Rechtsgrundlage der angefochtenen Verfügung ist Art. 56 Bayerisches Beamtengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. August 1998 (GVBl 702), in der zum maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids (BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 C 22.13 - BVerwGE 150, 1 Rn. 10) gültigen Fassung des Gesetzes vom 25. Juni 2003 (GVBl S. 374, künftig: BayBG a.F.). 10. Gemäß Art. 56 Abs. 1 Satz 1 BayBG a.F. ist ein Beamter auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen seines körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Bei der Dienstunfähigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten Nachprüfung der Verwaltungsgerichte unterliegt. Für die Feststellung der gesundheitsbedingten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit eines Beamten kommt dem Dienstherrn kein der Kontrollbefugnis der Gerichte entzogener Beurteilungsspielraum zu (BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 C 22.13 - BVerwGE 150, 1 Rn. 17). Kann der Beamte den Anforderungen seines Amtes und denjenigen einer anderweitigen Verwendung nicht mehr voll entsprechen, unter Beibehaltung des übertragenen Amtes aber seine Dienstpflichten noch während mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit erfüllen, soll er für begrenzt dienstfähig erklärt werden (Art. 56a BayBG a.F.; hierzu auch BVerwG, Urteile vom 30. August 2012 - 2 C 82.10 - Buchholz 237.6 § 54 NdsLBG Nr. 3 Rn. 11 und vom 27. März 2014 - 2 C 50.11 - BVerwGE 149, 244 Rn. 26). 11. Die Versetzung eines Beamten in den vorzeitigen Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit setzt die Feststellung seiner krankheitsbedingten Leistungseinschränkungen voraus. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkenntnis, über die nur ein Arzt verfügt. 12. Den Gesundheitszustand des Beamten feststellen und medizinisch bewerten muss der Arzt, die Schlussfolgerungen hieraus für die Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen ist dagegen Aufgabe der Behörde und ggf. des Gerichts. Der Arzt wird lediglich als sachverständiger Helfer tätig, um den zuständigen Stellen diejenige Fachkenntnis zu vermitteln, die für deren Entscheidung erforderlich ist (vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 C 22.13 - BVerwGE 150, 1 Rn. 18 m.w.N.; hierzu auch Beschluss vom 6. März 2012 - 2 A 5.10 - RiA 2012, 165 f.). Ein im Zurruhesetzungsverfahren verwendetes (amts-)ärztliches Gutachten darf sich daher nicht darauf beschränken, nur ein Untersuchungsergebnis mitzuteilen. Es muss auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe enthalten, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Entscheidung über die Zurruhesetzung erforderlich ist. Danach muss das Gutachten sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, d.h. die in Bezug auf den Beamten erhobenen Befunde, darstellen als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, seinen dienstlichen Anforderungen weiter zu genügen (stRspr, BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - 2 C 16.12 - BVerwGE 148, 204 Rn. 31 sowie zuletzt Beschluss vom 13. März 2014 - 2 B 49.12 - juris Rn. 8 f.). 13. Die hier im amtsärztlichen Gesundheitszeugnis vom 28. November 2007 der Sache nach bescheinigte "Schülerphobie" genügt diesen Anforderungen nicht. Die Einschätzung des Amtsarztes, der Kläger leide an einer chronifizierten seelischen Störung, die einen Kontakt mit Schülern ausschließe und es ihm unmöglich mache, den Lehrerberuf weiter auszuüben, ist nicht auf tatsächliche Umstände gestützt, die die Feststellung, dem Kläger sei ein Schülerkontakt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zumutbar, plausibel machen könnten. Die entsprechenden Mitteilungen im amtsärztlichen Gesundheitszeugnis vom 28. November 2007 sind weder aus sich heraus verständlich noch nachvollziehbar. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass nur dreizehn Monate zuvor ein anderer Amtsarzt als Facharzt für Psychiatrie beim Kläger bei ähnlicher Diagnose noch zu dem Ergebnis gekommen war, seine psychosoziale Leistungsfähigkeit als Lehrer sei zwar reduziert, reiche aber noch für 16 Unterrichtsstunden wöchentlich bei bis zu vier Unterrichtsstunden täglich aus. Eine fundierte Aussage zum Umfang der gesundheitsbedingten Einschränkungen hätte unter diesen Voraussetzungen einer zusätzlichen fachpsychiatrischen Untersuchung und Begutachtung bedurft. 14. Dessen ungeachtet hat der Verwaltungsgerichtshof im angefochtenen Beschluss festgestellt, dass der Kläger aufgrund seiner chronifizierten seelischen Störung dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, den Beruf als Lehrer auszuüben. An diese tatsächliche Feststellung ist das Bundesverwaltungsgericht mangels entsprechender Rügen des Klägers gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden und hat sie seiner rechtlichen Betrachtung zugrunde zu legen. Damit ist von einer dauernden Dienstunfähigkeit des Klägers auszugehen. 152. Die Dienstunfähigkeit des Beamten ist zwar eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Voraussetzung für die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand. Von einer Versetzung des Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit soll nach Art. 56 Abs. 4 Satz 1 BayBG a.F. abgesehen werden, wenn ihm ein anderes Amt derselben, einer entsprechenden, gleichwertigen oder einer anderen Laufbahn übertragen werden kann. Gemäß Art. 56 Abs. 4 Satz 2 BayBG a.F. ist in Fällen des Satzes 1 die Übertragung eines anderen Amtes ohne Zustimmung des Beamten zulässig, wenn das neue Amt zum Bereich desselben Dienstherrn gehört, es mit mindestens demselben Endgrundgehalt verbunden ist wie das bisherige Amt und wenn zu erwarten ist, dass der Beamte den gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amts genügt. Damit hat der Gesetzgeber den Dienstherrn die Verpflichtung auferlegt, für dienstunfähige Beamte nach anderweitigen, ihnen gesundheitlich möglichen und zumutbaren Verwendungen zu suchen (BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 - 2 C 73.08 - BVerwGE 133, 297 Rn. 25 ff. zu § 42 Abs. 3 BBG a.F.). Erst wenn feststeht, dass der in seiner Beschäftigungsbehörde dienstunfähige Beamte auch nicht anderweitig von seinem Dienstherrn eingesetzt werden kann, darf er wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig zur Ruhe gesetzt werden. Ohne gesetzliche Suchpflicht könnte die Verwaltung über die Geltung des Grundsatzes "Weiterverwendung vor Versorgung" nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit entscheiden und autonom festlegen, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Kriterien sie sich um eine anderweitige Verwendung bemüht. Das wäre mit Wortlaut und Zweck des Gesetzes unvereinbar (BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 - 2 C 73.08 - BVerwGE 133, 297 Rn. 25 ff.). 16. Der gesetzliche Vorrang der weiteren Dienstleistung vor der Frühpensionierung wird auch durch den Wortlaut des Satzes 1 des Art. 56 Abs. 4 BayBG a.F. zum Ausdruck gebracht, wonach von der Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit abgesehen werden "soll". Soll-Vorschriften gestatten Abweichungen von der gesetzlichen Regel nur in atypischen Ausnahmefällen, in denen das Festhalten an dieser Regel auch unter Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers nicht gerechtfertigt ist (BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 - 2 C 73.08 - BVerwGE 133, 297 Rn. 26). 17. Die Suche nach einer anderweitigen Verwendung ist regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn zu erstrecken. Dies folgt aus dem Wortlaut des Satzes 2 des Art. 56 Abs. 4 BayBG a.F., der die Übertragung eines neuen Amts für zulässig erklärt, wenn es zum Bereich desselben Dienstherrn gehört. Für diesen Umfang der Suchpflicht spricht auch, dass den Beamten zur Vermeidung der Frühpensionierung nach Art. 56 Abs. 4 Satz 3 BayBG a.F. auch der Erwerb einer anderen Laufbahnbefähigung zur Pflicht gemacht werden kann. 18. Die Suche nach einer anderweitigen Verwendung muss sich auf Dienstposten erstrecken, die frei sind oder in absehbarer Zeit voraussichtlich neu zu besetzen sind. Der Senat hält für diese vorausschauende Suche nach frei werdenden und/oder neu zu besetzenden Dienstposten einen Zeitraum von sechs Monaten für angemessen. Die Zeitspanne entspricht dem in Art. 56 Abs. 1 Satz 2 BayBG a.F. (entsprechend § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG und § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) vom Gesetzgeber vorgegebenen Zeitraum von weiteren sechs Monaten. Dagegen begründet Art. 56 Abs. 4 BayBG a.F. keine Verpflichtung anderer Behörden, personelle oder organisatorische Änderungen vorzunehmen, um eine Weiterverwendung zu ermöglichen (BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 - 2 C 73.08 - BVerwGE 133, 297 Rn. 29). 19. Die Suchanfrage muss eine die noch vorhandene Leistungsfähigkeit des dienstunfähigen Beamten charakterisierende und sachliche Kurzbeschreibung enthalten. Diese Kurzbeschreibung muss den angefragten Behörden die Einschätzung erlauben, ob der Beamte für eine Verwendung in ihrem Verantwortungsbereich in Betracht kommt. Dabei ist zu beachten, dass diese Beschreibung den Anspruch des Beamten auf Personaldatenschutz wahrt (§ 50 BeamtStG, Art. 60a Abs. 2 Satz 3 und Art. 100a BayBG in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. August 1998, GVBl S. 702). Deshalb darf die Kurzbeschreibung keine Mitteilung persönlicher Daten des Beamten enthalten, die nach dem geschilderten Zweck der Suchanfrage nicht erforderlich sind. Regelmäßig genügt es, die konkreten Leistungseinschränkungen mitzuteilen. Eine Offenbarung der Diagnose oder gar von detaillierten Krankheitsbefunden ist für den Zweck der Suchanfrage als Konkretisierung des gesetzlichen Grundsatzes "Weiterverwendung vor Versorgung" weder erforderlich noch unter datenschutzrechtlichen Aspekten zulässig. 20. Es ist Sache des Dienstherrn, schlüssig darzulegen, dass er bei der ihm obliegenden Suche nach einer anderweitigen Verwendung für den dienstunfähigen Beamten die Vorgaben des Art. 56 Abs. 4 BayBG a.F. beachtet hat. Denn es geht um Vorgänge aus dem Verantwortungsbereich des Dienstherrn, die dem Einblick des betroffenen Beamten in aller Regel entzogen sind. Daher geht es zulasten des Dienstherrn, wenn nicht aufgeklärt werden kann, ob die Suche den gesetzlichen Anforderungen entsprochen hat (BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 - 2 C 37.04 - BVerwGE 124, 99 <108 f.>). 21. Diesen Anforderungen genügt die hier zu beurteilende ressortübergreifende Suchanfrage nicht. Zwar wird in der Anfrage der Sachverhalt zutreffend dahin erläutert, dass der Kläger krankheitsbedingt nur den Beruf des Lehrers nicht mehr ausüben kann, er innerhalb der öffentlichen Verwaltung, aber außerhalb des Schuldienstes, jedoch vollschichtig einsatzfähig ist. Außerdem ist die Anfrage an die Personalabteilungen der anderen Ressorts und an die Staatskanzlei adressiert; sie deckt damit den gesamten Verwaltungsbereich des Beklagten ab. Die Setzung einer Verschweigensfrist, derzufolge die suchende Behörde von einer Fehlanzeige ausgeht, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist Rückmeldungen vorliegen, lässt sich indes nicht mit dem gesetzlichen "Grundsatz der Weiterverwendung vor Versorgung" in Einklang bringen. Denn die Einräumung einer bloßen Verschweigensfrist setzt nicht den erforderlichen Impuls für die angefragten Behörden, hinreichend ernsthaft und nachdrücklich nach einer anderweitig möglichen Verwendung des dienstunfähigen Beamten Ausschau zu halten. Die Möglichkeit, durch schlichtes Verschweigen auf eine Suchanfrage zu reagieren, eröffnet die Möglichkeit, den gesetzlichen Grundsatz der "Weiterverwendung vor Versorgung" zu unterlaufen. 22. In welcher Form die Verwaltung der Suchpflicht nachkommt, sei es - wie vorliegend - durch schriftliche Anfragen oder aber durch E-Mail-Abfragen oder auf andere Weise, bleibt ihrer Organisationsgewalt überlassen. Ebenso bedarf es für die Suche nach einer anderweitigen Verwendung des dienstunfähigen Beamten nur dann einer Nachfrage, wenn die Suchanfrage von einer angefragten Behörde unbeantwortet bleibt (BVerwG, Beschluss vom 6. März 2012 - 2 A 5.10 - IÖD 2012, 122 <123>). 23. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
von Thomas Riedwelski, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht 29. September 2022
Urlaub im Jahre 2019 Wer meint, das Bundesurlaubsgesetz (genauer das Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer vom 08.01.1963) das zuletzt am 20.04.2013 geändert wurde, nämlich durch Art. 3 Abs. 3 des im Bundesgesetzblatt (I S. 868) verkündeten Gesetzes vom 20.04.2013, gebe mit einem „Blick ins Gesetz“ Auskunft über die Rechtslage, wird unliebsame Überraschungen zu gewärtigen haben. Seit 2013 blieb der Gesetzgeber im Urlaubsrecht zwar untätig. Dennoch sind tiefgreifende Änderungen der Rechtslage ohne daß der parlamentarische Gesetzgeber auch nur einen Buchstaben des Gesetzestextes geändert hätte, eingetreten. Verursacht wurde dies durch europarechtliche Richtlinien, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinen Urteilen so anzuwenden und auszulegen vermag („effet utile“), daß ein Gesetz zwar noch in Textform „bestehen“ bleibt, indes keine oder andere rechtlichen Wirkungen mehr begründet. Am Beispiel des Urlaubsrechts wird die außerhalb parlamentarischer Gesetzgebung sich vollziehende Änderung des Bundesurlaubsgesetzes besonders drastisch anschaulich. Diese führte zu einem gänzlichen Systemwandel im deutschen Urlaubsrecht. Der Urlaub war vor dem „Eingreifen“ des Europäischen Gerichtshofes ein höchstpersönlicher Anspruch, der im wesentlichen auf eine Erholung des Arbeitnehmers von der Arbeitsleistungspflicht abzielte. Dieses Ziel sollte dadurch erreicht werden, daß Arbeitgeber ihn von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellte und dabei weiterhin das regelmäßige Arbeitsentgelt zu zahlen hatte. Aus diesem Grunde war der Urlaubsanspruch wegen seines höchst persönlichen Charakters nicht vererblich. Der Urlaubsanspruch verfiel (§ 7 Abs. 3 BUrlG) bei dem dauerhaft auch im Übertragungszeitraum des Folgejahres erkrankten Arbeitnehmer. Das gesetzlich angeordnete Erlöschen des Anspruchs auf Erholungsurlaub führte zu keinem Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers. Dem Arbeitgeber traf am Untergang des Erholungsurlaubs (meist) kein Verschulden. Die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hatte der Arbeitgeber nur in den seltensten Fällen zu vertreten. Die Ausgestaltung des deutschen Urlaubsrechts liegt zumindest seit 2009 im wesentlichen in der Hand des EuGH. Ausgangspunkt seiner Rechtsprechung ist Art. 7 der „RICHTLINIE 2003/88/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung“: „1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. 2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.“ Weil der EuGH als gesetzlicher Richter nach deutschem Prozeßrecht anzusehen ist, obliegt es dem Bundesarbeitsgericht wie auch den Landesarbeitsgerichten dessen Rechtsprechung zu übernehmen und zu vollziehen. Dies hatte eine erhebliche Zahl an Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (2012/C 326/01 - AEUV) zur Folge. Kaum anzunehmen ist, daß sich in Zukunft hieran etwas ändert. Der erste wesentliche Eingriff des EuGH in das bis dahin bestehende Urlaubsrecht nach dem Bundesurlaubsgesetz erfolgte mit dem Urteil vom 20. Januar 2009 in der „Rechtssache C-350/06 - Schulz-Hoff“ ECLI: EU:C:2009:18): Führt Arbeitsunfähigkeit beim Arbeitnehmer dazu, daß der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht nach Ablauf des Bezugsjahres und/oder des Übertragungszeitraums (erstes Quartal des Folgejahres) genommen werden kann, so steht einem erlöschen des Anspruchs die Richtlinie 2003/88/EG entgegen. Der Urlaub bleibt mithin erhalten, er geht nicht unter. Das Bundesarbeitsgericht rückte daher von seiner rechtlichen ab, der Urlaubsanspruch sei nicht vererbt war. Nur kurze Zeit später modifizierte der EuGH (Urteil vom 22. November 2011, Rechtssache C-214/10 - KHS, ECLI:EU:C:2011:761) seine Rechtsprechung nach massiver Kritik und erkannte darauf, daß es die Richtlinie zulasse, daß der wegen Arbeitsunfähigkeit übertragene Urlaubsanspruch nach 15 Monaten kompensationslos verfalle. Von der 15-monatigen Zeitgrenze rückte der Europäische Gerichtshof in der „Rechtssache“, Az.: C-118/13, „Gülay Bollacke“ (Urteil vom 12.06.2014 – C-118/13) dann wieder ab. In diese Rechtsprechung fügt sich der Fall „King“ (EuGH, Urteil vom 29. November 2017, Rechtssache C-214/16 – „King“, ECLI:EU:C:2017:914b:), in dem Urlaubsansprüche aus einem Zeitraum von 13 Jahren dem Arbeitnehmer zugesprochen wurden und nationale urlaubsrechtliche Verfallregeln die Rechtswirksamkeit abgesprochen wurde. Der Arbeitnehmer stand 13 Jahre in einem Dienstverhältnis, das sich schließlich als (Schein-)Arbeitsverhältnis herausgestellt hatte. Der EuGH: Das nationale Recht dürfe den Verfall des Urlaubsanspruches nicht vorsehen, wenn eine Praxis oder Unterlassung des Arbeitgebers den Arbeitnehmer davon abgehalten hat, den Jahresurlaub zu nehmen. Der Urlaub geht nicht mehr unter oder verfällt nicht, wenn er aus Gründen nicht mehr genommen wurde, die nicht vom Willen des Arbeitnehmers abhängen. In Randnummer 62 der Entscheidung führt der EuGH aus, daß es „irrelevant“ sei, „ob Herr King im Laufe der Jahre Urlaub beantragt hat oder nicht“. Dem Arbeitgeber obliegt es, den Arbeitnehmer „in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben“. Geschieht dies nicht, hat dieser „die sich hieraus ergebenden Folgen zu tragen“. Gemeint ist mit den „Folgen“, die Urlaubsabgeltung zu zahlen. § 7 Abs. 3 des Bundesratsgesetzes, der eine Festlegung des Urlaubs verlangt, könnte insofern europarechtskonform durch ein Arbeitsgericht ausgelegt werden. Der Arbeitgeber, der sich nicht organisatorisch darauf vorbereitet, Arbeitnehmer auf die Möglichkeit einer Urlaubsname vor Ablauf des Kalenderjahres hinzuweisen, setzt sich der Gefahr aus, unbefristet entweder weiter Urlaub in Natur leisten oder diesen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelten zu müssen. Der Urlaub (oder genauer: der Schadensersatz auf Urlaub) unterfällt damit allenfalls noch der dreijährigen Regelverjährung nach § 195 BGB. Es wird angenommen, das Bundesarbeitsgericht erwäge in seinem Vorlagebeschluß an den Europäischen Gerichtshof, daß möglicherweise die europarechtliche Vorschrift des Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union die Verjährungsvorschrift des BGB „überspielt“ (Bayreuther, Der EuGH und der urlaubsrechtliche Schadensersatzanspruch, NZA 2018, Seite 24/26). Dagegen blieb die vom deutschen Gesetzgeber in § 17 Abs. 1 BEEG (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) eingeführte Kürzungsmöglichkeit des Arbeitgebers für vom Arbeitnehmer genommene Elternzeit während des (ruhenden) Arbeitsverhältnisses vom EuGH unbeanstandet (EuGH, Urteil vom 04.10.2018 – C-12/17 Rechtssache „Maria Dicu“). Die dadurch geschaffene Kürzungsmöglichkeit zulasten des Arbeitnehmers halte Vorgaben der EU-Richtlinien (2003/88/EG vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung – Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub – und die Richtlinie 2010/18/EU vom 8. März 2010 über den Elternurlaub) ein. Unsicher ist, ob dies auf ähnliche Gestaltungen ruhender Arbeitsverhältnis, etwa den eines vertraglich vereinbarten „Sabbaticals“ zu übertragen ist. Der EuGH hat zuletzt mit zwei Urteilen vom 06.11.2018 (C-569/16 – „Bauer“; und C-570/16 – „Broßonn“) seine im Ergebnis arbeitnehmerfreundliche Rechtsprechung fortgesetzt. Der Verfall von Urlaub nach § 7 Abs. 3 BUrlG am Jahresende oder mit Ablauf des ersten Quartals des Folgejahres wurde zugunsten des Arbeitnehmers wesentlich „entschärft“. Diese nationale Regelung ist nur dann mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, seinen Urlaub zu nehmen. Der Arbeitnehmer, der durch seinen Arbeitgeber am Ende des Kalenderjahres nicht unter Hinweis auf bestehende Urlaubsansprüche zu Urlaubsname aufgefordert wird, Urlaub zu nehmen, behält nach dem EuGH seinen Urlaubsanspruch. Zweifellos ist und bleibt das Urlaubsrecht „vermintes“ Gelände für den Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer indes sieht seine Rechtsposition durch die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes gefestigt und sogar ausgeweitet. Rechtssicherheit ist indes etwas anderes. Die Appelle an den Gesetzgeber aus Rechtsprechung und wissenschaftlicher Literatur, das Bundesurlaubsgesetz an die europarechtlichen Vorgaben anzupassen, werden wohl ungehört verhallen.
von Anwalt Maag 29. September 2022
Aktuelles aus dem Erbrecht Enkel und Urenkel als "Abkömmlinge" bei der Erbeinsetzung Werden in einem Ehegattentestament für den Schlusserbfall "die Abkömmlinge" zu Erben eingesetzt, erfasst diese Formulierung nicht nur die von den testierenden Ehegatten unmittelbar abstammenden Kinder, sondern auch die Enkel. In einem vom Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 11.09.2019, entschiedenen Fall hatten die Eheleute, wie typisch für ein sogenanntes "Berliner Testament", sich zunächst gegenseitig, dann die "gemeinschaftlichen Abkömmlinge" zu gleichen Teilen als Schlusserben eingesetzt. Hinweis: Typischerweise werden in einem sogenannten "Berliner Testament" als Schlusserben je nach Wortwahl die "Kinder" oder "Abkömmlinge" eingesetzt. In der Praxis wird bei der Formulierungswahl aber oft nicht hinreichend auf den Unterschied geachtet. "Kinder" und "Abkömmlinge" sind erbrechtlich gesehen nicht dasselbe; der Begriff "Abkömmlinge" geht in der Regel weiter als der Begriff "Kinder" und umfasst eben grundsätzlich auch Enkel oder Urenkel. Im Rahmen der Testamentsgestaltung muss daher auf den Willen der Testierenden einerseits, die Wortwahl andererseits besonders Wert gelegt werden. Kein Gutachten über Testierunfähigkeit bei fehlenden Indizien Ergeben sich für eine Testierunfähigkeit des Erblassers unter Berücksichtigung der vorhandenen Beweismittel keinerlei Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit, kann das Nachlassgericht von der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Testierfähigkeit absehen. Das Nachlassgericht muss in der Regel nur bei konkreten auffälligen Verhaltensweisen des Erblassers klären, ob die Voraussetzungen der Testierunfähigkeit gegeben sein können. Ergibt diese Prüfung, dass Zweifel an der Testierfähigkeit bestehen, ist ein Sachverständigengutachten einzuholen. Ergeben jedoch die festgestellten Umstände keinerlei Anhalts- oder Anknüpfungstatsachen für eine Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung, so muss das Gutachten nicht erhoben werden (vergleiche Amtsgericht Rosenheim, Beschluss vom 21.01.2019). Keine Kettenschenkung trotz sofortiger Immobilienweitergabe an Enkel Mit einer typischen schenkungssteuerrechtlichen Problematik im Wege der vorweggenommenen Erbfolge befasst sich das Finanzgericht Hamburg im Urteil vom 20.08.2019. Die schenkungssteuerrechtliche Problematik der sog. Kettenschenkung im Zuge der Planung vorweggenommener Erbfolge stellt sich regelmäßig dann, wenn beispielsweise - im Verhältnis der Beteiligten niedrigere (ungünstigere) Schenkungssteuerfreibeträge vorliegen, so z.B. im Verhältnis Großelternteil - Enkel nur € 200.000,00 (dagegen im Verhältnis Elternteil -Kind € 400.000,00 Schenkungssteuerfreibetrag), - oder der Schenkungssteuerfreibetrag dadurch ausgeschöpft würde, dass der zu verschenkende Gegenstand, z.B. Immobilie, nur im Alleineigentum eines Elternteiles, nicht im Gemeinschaftseigentum beider Elternteile steht, also nur ein Schenkungssteuerfreibetrag ausgeschöpft werden kann. Beträgt im ersten Beispiel der Wert der Schenkung im Verhältnis zwischen dem Großelternteil und dem Enkelkind € 300.000,00, unterläge der den Schenkungssteuerfreibetrag übersteigende Wert der Schenkung von € 100.000,00 der Schenkungssteuer nach dem Erbschaftssteuergesetz. Überträgt im zweiten Beispiel ein Elternteil, in dessen Alleineigentum eine Immobilie im schenkungssteuerlichen Wert von € 600.000,00 steht, direkt auf ein gemeinschaftliches Kind, so unterläge auch hier nach Abzug eines Schenkungssteuerfreibetrages im Verhältnis Elternteil-Kind von € 400.000,00 der überschießende Wert von € 200.000,00 der Schenkungssteuer. In diesen Fällen kann es in Betracht kommen, zivilrechtlich zwei Schenkungen nacheinander durchzuführen: Im ersten Beispiel würde dies bedeuten, dass der zu verschenkende Gegenstand vom Großteilelternteil zunächst an das eigene Kind übertragen, dann von diesem zu einem späteren Zeitpunkt an das Enkelkind, also dessen eigenes Kind (weiter-) übertragen wird. In dieser Konstellation besteht im Verhältnis zwischen Großelternteil und dem eigenen Kind ein Schenkungssteuerfreibetrag von € 400.000,00, im Verhältnis zwischen dem Elternteil wiederum zum eigenen Kind (dem Enkelkind des Großelternteiles) wiederum ein Schenkungssteuerfreibetrag von € 400.000,00. Die Übertragungen können also insgesamt schenkungssteuerfrei erfolgen. Im zweiten Beispiel käme in Betracht, dass der Elternteil aus seinem Alleineigentum zunächst einen hälftigen Miteigentumsanteil an den Ehepartner überträgt (hier: Schenkungssteuerfreibetrag von € 500.000,00), zu einem späteren Zeitpunkt beide Elternteile ihrerseits nun jeweils hälftiges Miteigentum auf das Kind übertragen, wobei beide Elternteile jeweils einen Schenkungssteuerfreibetrag von € 400.000,00 ausnutzen könnten. In beiden Beispielen sind selbstverständlich Vorempfänge zu berücksichtigen. In all diesen Fällen ist stets bei der Planung zu berücksichtigen, dass dieser Vorgehensweise das Finanzamt mit dem Argument einer sogenannten unzulässigen Kettenschenkung entgegnen könnte. Wäre dies der Fall, würde dies zu einer erheblichen Schenkungssteuerbelastung führen können. Entscheidend ist hier, dass im ersten Schenkungsvertrag bzw. -vorgang keine Verpflichtung zur Weiterschenkung an den Dritten vereinbart ist, mithin eine freie Verfügungsbefugnis des zunächst Bedachten vorbehalten bleibt. In der Beratungspraxis ist daher darauf zu achten, dass nicht bereits im ersten Schenkungsvertrag eine Verpflichtung des zunächst Beschenkten zur Weitergabe aufgenommen wird. Testierunfähigkeit und Geschäftsunfähigkeit für zeitgleiche Vollmacht Wird Testierunfähigkeit für den Zeitpunkt der Errichtung eines (notariellen) Testaments festgestellt, heißt das im Regelfall, dass eine an demselben Tag ausgestellte (notarielle) Vorsorgevollmacht ebenfalls nichtig ist. In einem vom Landgericht München II entschiedenen Fall (Beschluss vom 24.07.2019) errichtete der Erblasser am gleichen Tag eine notarielle Vorsorgevollmacht und ein notarielles Testament. In einem späteren gerichtlichen Verfahren wurde festgestellt, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments testierunfähig war, so dass gesetzliche Erbfolge eintrat. Zu Lebzeiten hatten ferner Dritte von dem Erblasser, der insoweit aufgrund der notariellen Vollmacht durch einen Bevollmächtigten bei Abschluss des notariellen Kaufvertrags vertreten war, ein Grundstück erworben. Das Landgericht München II geht davon aus, dass die Vollmacht für den Grundstückskaufvertrag unwirksam ist. Der Erwerb des Grundstückes erfolgte damit von einem Geschäftsunfähigen, da er nicht beim Grundstückskaufvertrag durch den Bevollmächtigten wirksam vertreten werden konnte. Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit zum Beweis der Testamentsurheberschaft Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung gelingt bei einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (90 %) oder einer hohen Wahrscheinlichkeit (95 %) der Beweis der Urheberschaft eines Testaments; eine Wahrscheinlichkeit von 75 % genügt dagegen nicht. In dem vom OLG Rostock, Beschluss vom 31.08.2020, entschiedenen Fall hatte die Erblasserin ein handschriftliches Testament errichtet. Die enterbte Tochter der Erblasserin wandte ein, dass der Testamentstext und die Unterschrift nicht von der Hand der Erblasserin stammen würden. Seitens des Gerichtes wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt. Dies kam zu dem Ergebnis, dass der Text mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 bis 99 % und die Unterschrift mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 bis 95 % von der Erblasserin stammten. Es wurde darauf hingewiesen, dass jede Schrift mehr oder weniger Abweichungen aufweisen kann. Die vorliegenden Abweichungen hätten sich jedoch im Rahmen einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit bewegt. Ein Pflichtteilsberechtigter hat das Recht auf Grundbucheinsicht Dem Pflichtteilsberechtigten steht nach Eintritt des Erbfalls das Recht auf Einsichtnahme in das Grundbuch des Erblassers zu. (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12.08.2020). Behandlung zwei zeitlich aufeinanderfolgender Testamente Immer wieder ist es in der Praxis festzustellen, dass der spätere Erblasser in zeitlichen Abständen, zum Teil wiederholt, neue, meist handschriftliche Testamente verfasst. Dabei stellt sich im Erbfall dann die Frage, ob (nur) das zeitlich neueste Testament gilt oder ob verschiedene Anordnungen (nebeneinander) Geltung haben können. Zunächst ist zu prüfen, ob mit dem neuesten Testament frühere Testamente ausdrücklich widerrufen wurden. Ist dies der Fall, gilt nur das zeitlich neueste Testament. Ist dies nicht der Fall, muss geprüft werden, ob die früheren Anordnungen mit zeitlich danach getroffenen Anordnungen im Widerspruch stehen. Dies ist der Fall, wenn sich die Anordnungen des Erblassers gegenseitig ausschließen. Auch dann gilt die frühere Verfügung (insoweit) als widerrufen. Sind die zeitlich unterschiedlichen Verfügungen jedoch inhaltlich miteinander vereinbar, muss mittels Auswägung der Erblasserwille erforscht werden. In der Testamentspraxis ist also darauf zu achten, dass in neuen Verfügungen klarstellend geregelt ist, ob frühere erblichen Verfügungen aufgehoben oder teilweise erhalten bleiben sollen. Anderenfalls kann es in der Praxis zu erheblichen Abgrenzungs- bzw. Auslegungsproblemen kommen (vgl. auch OLG Saarbrücken, Beschluss vom 07.09.2020). Der Pflichtteil wird durch Vermächtnisse nicht geschmälert Häufig beinhalten erbrechtliche Regelungen sowohl die Bestimmung eines oder mehrerer Erben, gleichzeitig aber auch die Anordnung von Vermächtnissen, z.B. über Wohnung, Geldvermögen etc.. In dem vom OLG Koblenz (Beschluss vom 03.07.2020) entschiedenen Fall ergab sich durch die Anordnung von Vermächtnissen sogar rechnerisch ein negativer Nachlasswert. Der Erbe wandte daher gegenüber den Pflichtteilsberechtigten ein, dass ein Pflichtteilsanspruch nicht gegeben sei, da der Nachlass durch die Vermächtnisse aufgezehrt würde. Über diesen Umstand bestehen jedoch, wie im entschiedenen Fall, häufig Fehlvorstellungen. Das Gericht hat daher – wie zu erwarten – deutlich herausgestellt, dass die angeordneten Vermächtnisse nicht dazu führen, den Pflichtteilsanspruch der Höhe nach zu reduzieren. Die Taktik des (späteren) Erblassers, den Nachlass durch Vermächtnisse so stark zu belasten, dass ein Pflichtteilsberechtigter wirtschaftlich „ausgebootet“ wird, geht daher nicht auf. Verjährter Pflichtteilsanspruch kann nachträglich nicht als Nachlassverbindlichkeit bei der Erbschaftssteuer abgesetzt werden! Eine für die Praxis sehr wichtige Entscheidung ist durch den Bundesfinanzhof mit Urteil vom 05.02.2020 ergangen. Diese Entscheidung ist insbesondere bei der in der Praxis häufig vorkommenden erbrechtlichen Gestaltung eines sogenannten „Berliner Testaments“ von Relevanz. Beim sogenannten Berliner Testament setzen sich die Eheleute zunächst gegenseitig zu Erben ein und die (gemeinschaftlichen) Kinder zu Schlusserben. Die Kinder wären beim Erbfall des Erstversterbenden Elternteils grundsätzlich pflichtteilsberechtigt. Häufig wird jedoch der Pflichtteil, auch im Einvernehmen mit dem überlebenden Elternteil, nicht geltend gemacht. Nun verjähren Pflichtteilsansprüche innerhalb von drei Jahren (zum Jahresende) nach dem Erbfall. Es stellt sich dann die Frage, ob beim zweiten Erbfall diese Pflichtteilsansprüche, die zunächst innerhalb der Verjährungsfrist nicht gegenüber dem überlebenden Elternteil geltend gemacht wurden, noch nachträglich ins Feld geführt werden können, um als Nachlassverbindlichkeit mögliche Erbschaftssteuerbelastungen aus dem zweiten Erbfall des letztversterbenden Elternteils zu reduzieren. Hierzu hat der BFH im Urteil vom 05.02.2020 entschieden, dass dies für verjährte Pflichtteilsansprüche nachträglich nicht mehr steuerlich zu beachten ist. Vor diesem Hintergrund ist unter erbschaftssteuerlichem Gesichtspunkt bei der Gestaltung von Testamten und Erbverträgen zu prüfen, ob und inwieweit im Testament von den Eheleuten Regelungen getroffen werden, die Verjährungsfrist für Pflichtteilsansprüche abzuändern, um den Kindern beim zweiten Erbfall die Möglichkeit offen zu lassen, die Pflichtteilsansprüche nach dem ersten Erbfall noch geltend zu machen.
von Anwalt Maag 29. September 2022
Aktuelles aus dem Familienrecht Corona rechtfertigt keine einseitige Abänderung der Umgangsregelung. Auch während der Corona-Pandemie ist ein Elternteil nicht berechtigt, einseitig eine gerichtliche Umgangsregelung abzuändern oder auszusetzen. Der Umgang des nichtbetreuenden Elternteils mit dem gemeinsamen Kind ist von Kontaktbeschränkungen nicht erfasst (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.07.2020, ebenso OLG Braunschweig und OLG Schleswig).

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